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Ab ins Theater! – TSCHICK in besonders nah und minimalistisch

(Anmerkung zum Video: Ich finde es nicht ganz glücklich zusammengestellt, das Stück ist live stärker!)

„Wanne. Schaukel. Sommer. Knutschen.“

Auf einer fast leeren Bühne entwickelt sich rückblickend erzählt die Geschichte von Maik(ie) (gespielt von Aron Keleta) und Tschick (Yavuz Köroglu), die all das beinhaltet, was die Hoch-Phase der Pubertät zu bieten hat: die erste große Liebe, Mädchen, den ersten Kuss. Und all dem voran geht dieses Schwanken zwischen einem wahnsinnigen Hochgefühl und dem allertiefsten Tief und die absolute Unsicherheit, wer man überhaupt ist und wer man überhaupt sein und werden will. Mal unterschwellig und mal ganz offensichtlich steht zudem die Frage nach der (Un-)Endlichkeit im Allgemeinen und Speziellen im Raum.

„Und ich dachte: Jetzt sterben wir also. Jetzt kehre ich nie wieder zurück zu Isa Schmidt. Und ich dachte, ich müsste mich wohl bei meinen Eltern entschuldigen. Und außerdem dachte ich: Mist, nicht zwischengespeichert!“

Es ist ein sommerlicher Roadtrip auf einer grauen Bühne zwischen zwei aufeinander zulaufenden Betonwänden, der eine maximale Freiheit beschreibt – die Freiheit der Zeit, in der man noch nicht strafmündig ist, um Tschick zu zitieren – oder anders gesagt: naiv und unverdorben?

Die minimalistische Kulisse bietet einerseits den Schutzraum für dieses große Abenteuer, andererseits erdrückt sie Maik fast, wenn seine Eltern (gespielt von Pheline Roggan und Andreas Schmidt) überlebensgroß auf die Wände projeziert mit ihm sprechen. Der schmale Ein- und Ausgang, den die beiden Betonklötze an ihrem Ende schaffen, lässt ein einfaches von der oder auf die Bühne gehen nicht zu, aber dafür ein umso dramatischeres ins Licht gezerrt werden und zögerliches Entschwinden in den Schatten. Auch die Beleuchtung, die mal Silhouetten und mal Schatten mit scharf gezeichneten Konturen schafft, erfüllt die Kulisse stimmungsvoll und bis ins Detail durchdacht. Hier sind Perfektionisten am Werk, die es aber zugleich verstehen, den Schauspielern ihre Lebendigkeit zu lassen und sie weder hinter Requisitenbergen zu verstecken noch in ihrer Körpersprache einzuengen. So füllen die Schauspieler den vielen leeren Raum, den sie haben, mit ihren Körpern und manchmal fast zu echten Gefühlsausbrüchen, bei deren Anblick sich der Zuschauer gegen Mitlachen und -leiden kaum wehren kann.

Zwischen kindlicher Leichtigkeit und der Schwere des Erwachsenwerdens hin und hergeschleudert durchleben hier zwei vierzehnjährige Jungs eine gemeinsame Zeit, die zu wesentlichen Selbsterkenntnissen führt. Zwischen dem am liebsten betrunkenen Russen, der auch ohne Alkohol nicht geradeaus gehen kann, und dem Wohlstandssöhnchen aus zu reichem Hause, der Hugo Boss-Jackett zum Armani-Hemd trägt, entwickelt sich aus kurzfristiger und oberflächlicher Abneigung eine tiefe Beziehung. Es ist eine Gratwanderung zwischen grenzenloser Liebe und allerbester Freundschaft, anzüglichen Gesprächen über Mädchen und körperlicher Nähe zum Anderen.

„Ich mag das nicht. Mädchen und so.“

Das Liebesgeständnis folgt vor Gericht, wo sich Tschick so ganz anders verhält als erwartet. Wer das Buch (Tschick, Wolfgang Herrndorf) und damit die Geschichte nicht kennt, wird von mehr als einer Stelle des Stücks (angenehm) überrascht werden – doch auch für all diejenigen, die den Roman gelesen haben, lohnt sich der Gang ins Theater. In jedem Fall regt diese Interpretation der Geschichte nämlich zum Nachdenken an, trainiert die Lachmuskeln und streichelt immer wieder Augen und Ohren mit wunderbaren Filmsequenzen, starken Live-Bildern und stimmig eingespielten oder selbstgesungenen Musikstücken.

Das von Robert Koall bearbeitete und am 19. November 2011 in seiner Fassung uraufgeführte Stück wird im Theaterhaus Stuttgart unter der Regie von Nils Daniel Finckh gezeigt, dessen Vorliebe für (die Themen und Art) junge(r) Menschen und den leeren Raum als Grundlage des Bühnenbilds bestens mit Thematik und Dramatik dieses Werks harmoniert.

Nils Daniel Finckh

So gelingt mit diesem vom Roman auf die Bühne gebrachten Theaterstück etwas, das nicht immer geschieht, wenn ein Buch in eine neue Darstellungsform übersetzt wird: Es zeigt eine feinfühlige Vielschichtigkeit, authentische Emotionen und Seelenstrips, die knallhart und direkt sind, aber doch nie zu so viel peinlicher Berührung führen, als dass der Zuschauer die Augen vor ihnen verschließen oder den Kopf wegdrehen müsste.

Provokation darf als Teil der Darstellung nicht fehlen, wenn etwa Isa Schmidt breitbeinig vor Maik am Boden liegt oder mit eindeutigen Hüftbewegungen „Ficki ficki“ ruft, aber hält sich so weit in Grenzen, als dass sie als angemessener – wenn nicht sogar notwendiger – Bestandteil der Darstellung einer postmodernen Jugendzeit verstanden werden kann.

 

 

Lena

26 Jahre alt oder jung.
Zudem: freie Fotografin, Presseschreiberlingin, ... und sporadisch aber dafür mit Herz aktiv im Bereich SocialMedia und Marketing, um den strategischen Konsum voranschubsen zu helfen.
Ein Herz für Andersartigkeiten, Menschen, Fairtrade, Umweltschutz, Tierschutz ... und fühlende Wesen im Allgemeinen.
Manchmal ein wenig "undiplomatisch" oder kratzbürstig - man könnte auch sagen: ehrlich und direkt.
Frei Schnauze eben und aus dem Bauch raus.