Stadtführungen hatten lange Zeit einen schlechten Ruf, sicher nicht nur bei mir. Spießig einer Fremdenführerin mit buntem Schirm hinterherlaufen, die gelangweilt auswendig gelernte Jahresdaten herunterbetet? Nein, danke. Trotzdem muss ich sagen, dass es sich bisher immer wieder gelohnt hat, Ausnahmen zu machen, weil man manche Facetten einer Stadt nur so erleben kann. Auf Reisen bin ich fürs Treiben lassen, aber wenn man etwas mehr über eine Stadt erfahren will, vielleicht auch mehr Zeit dort verbringt – dann kann eine Stadtführung unfassbar aufschlussreich sein. Oder unterhaltsam. Im Idealfall beides.
Und: Genau so wichtig wie Treiben lassen ist mir auf Reisen ja auch immer wieder das Essen. Ich liebe es, in fremden Ländern fremde Speisen zu probieren und könnte dort Stunden in Supermärkten verbringen. Doch warum sollte das nur in der Ferne so sein?
Nachdem ich jetzt also seit eineinhalb Jahres in Stuttgart wohne, mich in dieser Stadt recht gut orientieren kann und so meine Lieblingsecken gefunden habe, bin ich trotzdem noch weit entfernt vom Stuttgart-Experte. Jedes Mal wenn Besuch kam musste ich bisher ernsthaft recherchieren, wo es denn so zum Abendessen hingehen könnte. Als ich jetzt also die Möglichkeit hatte, gemeinsam mit Eat the World den Stuttgarter Westen kulinarisch zu erkunden, schlug mein Herz gleich zweimal besonders laut. Ich liebe die Idee, (m)eine Stadt durch ihr Essen besser kennenzulernen!
Mit Eat the World die eigene Stadt kulinarisch und kulturell neu entdecken
Wir trafen uns also am letzten Novemberfreitag am Feuersee. Es war wirklich fünf vor Winter und alle fünfzehn Teilnehmer der Tour – ein bunt zusammengewürfelter Haufen zwischen 25 und 75, alle interessiert und aufgeschlossen, sowie eine charmante Tourleiterin – traten fröstelnd von einem Fuß auf den anderen. Gut, dass nur ein geringer Teil der Tour aus informativen Vorträgen über beeindruckende Fassaden besteht – bei den Eat the World Touren geht es viel mehr darum, eine Stadt über ihr kulinarisches Angebot zu erkunden, und dafür muss man rein ins Geschehen! Und in diesem Fall auch rein ins Warme, was uns allen immer wieder sehr gelegen kam.
Sieben kulinarische Stationen steuerten wir in gut drei Stunden an, und die Mischung war genau die richtige. Um halbelf beim Bäcker Dreßler vorbeizuschauen scheint zunächst nichts besonderes, vor allem weil die Bäckerei von außen ziemlich unspektakulär aussieht. Aber keiner von uns wusste, dass dies der älteste Bäcker in Stuttgart West – und seit 1901 bis heute ein Familienbetrieb – ist. Und die Flachswickel hätte ich alleine wahrscheinlich auch nicht probiert. Wäre dumm gewesen!
Richtig schwäbisch ging es anschließend auch beim Metzger Schneider weiter – ebenfalls ein Familienbetrieb und heute in 3. Generation. Metzgereien sind ja tendenziell weniger was fürs Auge, aber geschmelzte Maultaschen, Landjäger und Kartoffelsalat sowas von was für die Geschmacksknospen!
Weiter ging es zum Plattsalat, einer Bio-VerbraucherInnen-Initiative in der Gutenbergstraße, die es Bio-Liebhabern möglich macht, zu geringen Preisen hochwertige und regionale Lebensmittel zu kaufen. Wir naschten leckeres Bauernbrot mit Kürbis-Hanf-Aufstrich und diskutierten darüber, warum so vielen Menschen immer noch egal ist, woher ihr Essen kommt und wie es sein kann, dass ein Liter Milch 40 Cent kostet.
Um die erhitzten Gemüter zu beruhigen führte uns die Tour in die Kaffeerösterei Fröhlich. Einmal die Tür auf, und alle waren wie berauscht von diesem unvergleichlichen Geruch frisch gemahlenen Kaffees. Meine Herren, dieser Espresso hatte es in sich! Seit Mitte 2000 röstet die Familie Fröhlich hier eigenen Kaffee und bietet neben Degustationen und Verkauf auch Kaffeeseminare an.
Frisch gestärkt konnten wir weiter zum letzten Inhabergeführten Lebensmittelgeschäft Stuttgarts schreiten. Bei Feinkost Panzer in der Arndtstraße sieht es noch ein bisschen aus wie bei Tante Emma – nur in sehr hell, sehr aufgeräumt und sehr modern. Obst und Gemüse beäugen sich mit Pasta, Einmachgläsern und Illustrierten, und dazwischen lächelt eine gut gelaunte Frau Panzer zwischen den Regalinseln hindurch und kann gefühlt jeden Wunsch erfüllen. Spätestens hier fragte ich mich, warum ich diesen Laden bisher immer übersehen hatte.
Bevor wir die Tour mit einer entspannenden Tee-Zeremonie im Tai Chi Teehaus beendeten, schauten wir noch bei meinem Süßlust-Geheimtipp Tarte und Törtchen vorbei. Seit drei Jahren zaubert Aline John hier kleine Zuckersünden und begeistert mich damit immer wieder. Ist vielleicht was fürs Weihnachtsdinner?
Fazit: Stadtführung in der eigenen Stadt – gute Idee!
Obwohl ich was gutes Essen angeht immer beide Ohren gespitzt und die Augen weit offen habe, obwohl diese Straßen seit mehr als einem Jahr zu meiner Hood gehören und obwohl ich kleine Läden instinktiv Systemgastronomie und Supermärkten vorziehe – trotzdem habe ich auf dieser Tour unfassbar viel Neues kennengelernt. Und fast nebenbei auch noch so einiges über Stuttgart, die Schwaben und ihre Wurzeln erfahren. Merci für die Einladung, Eat the World!
Die Eat the World Tour durch den Stuttgarter Westen findet quasi jeden Freitag und Samstag statt, die Gruppengröße beträgt meist 16 Leute. Eine Voranmeldung ist unbedingt notwendig! Es lassen sich übrigens auch private Touren und welche auf Englisch buchen. Alle Informationen und Termine findet ihr auf der Webseite. Hier erfahrt ihr auch alles über die Eat the World Touren in Berlin, Bremen, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig, München, Münster und Potsdam.
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