Am Samstag hatte ich mein viertes gezieltes Zusammentreffen mit geflüchteten Menschen, die in der Region Bodenseekreis untergekommen sind. Anders als bei den anderen Malen fand es in keiner der Unterkünfte statt, sondern auf einem Freizeitgelände direkt am Bodenseeufer. Ich vertrete eine der Lokalzeitungen und soll mit möglichst vielen Neuankömmlingen sprechen…
Lamin ist 27 Jahre alt, kommt aus Gambia und wünscht sich einfach nur einen Job. Hauptsache, er bekommt etwas Sinnvolles zu tun, mehr mag der junge Mann gar nicht, der nun bald ein Jahr in Deutschland lebt und noch keine Stelle gefunden hat. „Ich schlafe, stehe auf, gehe Essen einkaufen, esse und schlafe wieder.“, beschreibt er seinen Tagesablauf, aus dem er so bald wie möglich ausbrechen mag. Die notwendige Erlaubnis besitzt er inzwischen endlich, doch die Jobsuche gestaltet sich ohne Kontakte und ohne fließendes Deutsch als kompliziert. Abdoulie muss auf ebendiese Erlaubnis noch warten. Als geflüchteter Mensch darf er während einer Sperrfrist von drei Monaten (darauf wurde diese angesichts der vielen Geflüchteten glücklicherweise heruntergesetzt) frühestens arbeiten und auch dann braucht es einiges an Papierkram, bis er tatsächlich eine voll bezahlte Stelle antreten darf. Der 25-Jährige, der mir verrät, dass er am liebsten Reggaemusik hört, möchte als Mechaniker arbeiten, am liebsten im Automobilbereich. Umso mehr freut es ihn, als er von den anderen Umsitzenden und mir erfährt, dass in Friedrichshafen namhafte Automobilzulieferer ihren Sitz haben. Da hatte er mit seiner örtlichen Zuteilung doch wirklich Glück!
Jetzt heißt es aber erst einmal: geduldig sein und hoffen, dass mit den Erlaubnissen alles glattgeht. Das gestaltet sich übrigens gar nicht mal so leicht, denn, wie ich von einigen erfahre, Fremdsprachen sind bei den Behörden eher eine Seltenheit. Zum Glück gibt es im Asylforum Bodensee einige selbsternannte Dolmetscher wie etwa Alaa, der die Gruppe bei facebook mitbetreut. Er ist Ingenieur und Pianist und hat in diesen Bereich bereits erste Kontakte geknüpft und festgestellt, dass er mit diesen Branchen in Deutschland gute Chancen hat. Beim Zusammentreffen zwischen den geflüchteten jungen Männern und mir fungiert er nicht nur als Dolmetscher, sondern baut auch die Hemmschwelle ab, mit mir als „Frau von der Tageszeitung“ überhaupt ein Gespräch zu führen. Ich mag mich nicht aufdrängen und merke schnell, dass nicht jeder ein Interview geben mag, geschweige denn, sein Gesicht in die Kamera halten. Verständlich, finde ich und halte mich auffällig unauffällig auf dem Gelände auf und versuche so präsent zu sein, dass freiwillige Interviewpartner mich finden können. Die ersten Gespräche laufen etwas schleppend, ein junger Mann verdrückt sich auch schnell wieder, als er eine Chance sieht, dem Gespräch mit mir zu entrinnen, dem er im Beisein der Leiterin des Asylforums noch zugestimmt hatte. Mit einer Zigarette im Mundwinkel verschwindet er von der Bildfläche und ich kann ihm auf dem Gelände nicht mehr wiederfinden. Verwundert bin ich davon nicht. Auch Einheimische wollen schließlich nicht all Nas‘ lang irgendwas gefragt werden, aber ich bekomme Zweifel, ob das, was ich da tue, überhaupt Sinn macht und irgendwohin führt.
Das Blatt wendet sich mit dem Eingreifen von Alaa. Wir kommen ins Gespräch, ich meckere ganz deutschentypisch über’s Wetter (mir ist kalt, meine Jacke habe ich am Vortag mit Suppe überschüttet und bin daher etwas zu leicht gekleidet für den plötzlichen Herbsteinbruch mit Nieselregen) und er nimmt es zu allem Überfluss extrem ernst und organisiert mir innerhalb von Sekunden eine Regenjacke. Mit der übergrößen Jacke bekleidet gehen wir dann zur Feuerstelle, weil es da eben wärmer ist.
Inzwischen befinde ich mich in einer kleinen Gruppe Syrer, die Alaa alle in ihrer deutschen Erstunterkunft kennen gelernt hat und die nun teils in Friedrichshafen teils in Biberach untergebracht worden sind. Unter ihnen ist auch Fußballtrainer Ammar. Der 31-Jährige liebt Sport über alles, betreibt neben dem Kicken auch Kampfsport und hofft, auch hier wieder eine Stelle als Trainer zu finden. Wie wir so am Feuer stehen, wünsche ich mir, dass es mehr solche Begegnungen gibt. Ein bisschen verkehrte Welt, wie ich finde, dass ausgerechnet ich, die hier ja lebt und nirgendwohin fliehen musste, eine Jacke geborgt bekommen habe – von denen, die so gut wie keinen Besitz mehr haben. Aber es ist schön, wenn sich jemand kümmert und ja, wir sind doch alle ziemlich ähnlich. Alaa rüttelt die kleinen Grillroste zurecht, die noch auf der verglühten Kohle liegen, guckt hoch, als wolle er mich einschätzen und flachst dann: „Now you can sit down“. Ich überlege nicht, kontere eben so ernst und frage, ob er denn nach Deutschland gekommen sei, um Deutsche zu grillen. Noch vorm Ende dieses Satzes zucke ich innerlich zusammen und frage mich, ob dieser Spruch in der aktuellen doch recht angespannten Situation so schlau gewesen ist? Als alle Umstehenden grinsen, bin ich beruhigt und ja, auch schwarzer Humor kann verbinden.
Jedenfalls plaudern wir dann noch ein bisschen und ich erfahre zumindest ein paar grundsätzliche Dinge über die Männerrunde um mich herum. Zu Tiefschürfendes getraue ich mich nicht zu fragen, schließlich bin ich hier die Fremde und wer gibt einem Fremden schon sein ganzes Leben Preis. Besonders beeindruckt mich Wadii. Der 21-Jährige spricht bereits vier Sprachen fließend, lernt mit Deutsch seine fünfte und hat außerdem vor, auch Französisch, Chinesisch und Russisch zu üben. Mit all den Sprachen im Gepäck mag er dann nicht etwa Dolmetscher werden sondern Politikwissenschaften in Heidelberg studieren.
Für mein anstehendes Ausstellungsprojekt lerne ich daraus aber wieder einmal, wie wichtig Freiwilligkeit ist. Jeder muss von selbst kommen. Das ist auch der Grund, warum ich Empfehlungen um Ecken herum so ungern annehme. Wer Teil meiner Projekte sein mag, muss sich schon direkt bei mir melden. Sonst bleibt immer ein schaler Nachgeschmack, ob da nicht doch irgendein Druck im Hintergrund geherrscht hat.
In den nächsten Wochen arbeite ich nämlich an einem Porträtprojekt über aktuelle und ehemalige geflüchtete und eingewanderte Menschen, die aktuell in der Region Stuttgart leben. Dabei geht es ganz explizit um die ganz normalen Menschen von nebenan. Wer sich zu dieser Menschengruppe zählt und gern Teil der Ausstellung wäre, kann sich gern hier in den Kommentaren oder über facebook melden.